Alltag ALZHEIMER

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Alzheimer ist nichts, wofür man sich schämen muss. Alzheimer ist eine Katastrophe.

Gedanken und Erfahrungen eine Überschrift zu geben, fiel mir schwer.
Kann das Viele sich unter einer Headline ablegen lassen? Egal.


„Du gehst doch mit?

240807

Wann immer auf dem iPhone oder auf der Watch „Dr…” erscheint und ich bestätige, dass „wir“ einen Termin haben, folgt die Frage: „Du gehst doch mit?“ Ich konnte und kann es seit dem Beginn der Diagnostik vor über acht Jahren nicht mehr anders vorstellen, als gemeinsam die Termine wahrzunehmen. Dank meiner beruflich Stellung, konnte ich dies seinerzeit gewährleisten. Jetzt, ist es mein uneingeschränktes Privileg, Termine zu- oder abzusagen.

Termine bei Ärztinnen oder Ärzte sind keine die ich rot im Kalender markieren darf. Seinen es die regelmäßigen Termine bei unserer Neurologin oder bei unserer Hausärztin. Die Frauenärztin sowie den Orthopäden sehen wir mehr oder weniger regelmäßig, so wie die Zahnärztin.

Erfahrungen in Arztpraxen

Gerne würde ich sagen, dass in den ersten Jahren ihrer Erkrankung meiner Frau durchgängig mit Verständnis für ihre Eigenheiten und Bedürfnisse begegnet wurde. Nein, es gab diese Momente, wo ein Arzt einen Blick auf die Auflistung ihre Medikamente warf und sich ab dann mir zuwendete und nur noch mit mir über meine Frau sprach. In ihrer Gegenwart, über ihren Kopf, ohne Blickkontakt mit ihr, ohne direkte Ansprache. Entwürdigend. Nicht nur einmal hat meine Partnerin weinend eine Praxis verlassen. „Da gehe ich nie wieder hin“, war ihre Reaktion. Verständlich.

Diese Erfahrungen im Gepäck, habe ich mit wenigen Ausnahmen, meine Frau und mich als Patienten in Praxen angemeldet. So ist es möglich, Doppeltermine zu verabreden. Dies bringt mehr Zeit, was eine Entlastung für meine Frau bedeutet. Ich kann in Ruhe abwarten, was meine Frau selbständig formuliert, um bei Bedarf zu ergänzen. Denn nicht immer ist sie in der Lage, auf Fragen adäquat zu antworten. Dann steht das „es geht mir gut“ im Raum. An mir liegt es, zu verstehen und zu notieren, was medizinisch gesagt wird. Im Auto oder spätestens zu Hause, werde ich befragt.

Identitätsausweis

Nicht immer kann unsere Alltagshelferin, wenn ich einen Arzttermin wahrnehmen muss. In dem Moment, wo ich alleine in eine Praxis gehen muss und meine Frau alleine zu Hause bleibt, habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, auf meine Situation durch die Vorlage einer kleinen „Visitenkarte“, oder wie ich sie nenne, meine „Identitätskarte“, aufmerksam zu machen.


Nicht immer erlebe ich es, dass mein Gegenüber damit etwas anzufangen weiß. Zeitliche und räumliche Orientierungslosigkeit eines an Alzheimer erkrankten Menschen und was das für einen pflegenden Angehörigen bedeutet, ist selten bekannt. Höflich frage ich nach dem Zeitmanagement der Praxis. Für mich ist wichtig zu wissen, ob ich damit rechnen kann, dass jetzt der genannte Termin verbindlich oder nur eine Absichtserklärung ist. Mit großen Augen werde ich angeschaut. Meine zeitliche Abwesenheit kann meine Partnerin vor nicht lösbare Probleme stellen. Sage ich das, löst dies nicht selten Hilflosigkeit beim Gegenüber aus. Einige Male musste ich unverrichteter Dinge gehen und habe um einen neuen Termin gebeten.

Eine andere, sehr positive Erfahrung war, dass Termine eingehalten werden. In einigen Praxen ist mein Bedarf an Verlässlichkeit hinterlegt. Das nimmt mir Stress. Ich kann mich darauf verlassen, dass meine Wartezeit sich nicht endlos verlängert.


„Das will ich nicht.“

240724

Zu meiner Wirklichkeit gehörte, dass ich über lange Zeit hinweg mich selbst der Unterstützung durch Dritte verweigert habe. Mein Grund war, möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Wie oft habe ich Sätze wie: „Das will ich nicht.“, „Du bist immer weg.“ gehört. Ich wollte nicht diesen zusätzlichen Stress, neben dem in meinem Job. Ich wollte nicht das Gefühl eines schlechten Gewissens mit mir herumtragen, weil ich ihr in unserer Vergangenheit häufig Zeiten der beruflich bedingten Abwesenheit zugemutet habe. Kurzfristig war damals mein Denken und Verhalten sicherlich in Ordnung. Perspektivisch alles andere als hilfreich. Der Besuch in einer Tagesgruppe habe ich bislang noch immer nicht in Angriff genommen. Ich habe ihr und mir Erfahrungsräume verbaut.

Meiner Frau fiel und fällt es nicht leicht zu akzeptieren, dass ich Zeit alleine oder mit anderen verbringen muss und möchte. Geht es nach ihr, ist sie 24/7 in meiner oder ich in ihrer Nähe. Mir ist bewusst, ich bin ihre Sicherheit, sie vertraut mir ganz und gar. Bin ich nicht da, mute ich ihr etwas zu. Das kann sich für sie so anfühlen, wie ausgeschlossen zu werden, nicht mehr gut genug zu sein um teilzuhaben zu können. Hilflosigkeit und fehlende Sicherheit, ängstliche Gefühle gesellen sich zum orientierungslos sein, hinzu.

Auszeiten

Und doch ist es mir vergönnt, Momente einer Auszeit zu finden. Zum einen durch eine langjährige Freundin, die vielfältig qualifiziert und erfahren ist, sie zweimal in der Woche zu begleiten. Manchmal sagt von sich aus, dass ich mal etwas ohne sie machen müsse. Zugegeben, davon hätte ich gerne mehr.

Menschen, die mit ihr in meiner Abwesenheit zu tun hatten berichteten mir später, das sie immer wieder nach mir fragte und wissen wollte, wann ich zurück käme. Es gab diese Momente, wo ich von ihr einen Anruf erhielt und ich gefragt wurde, wo ich sei und wann ich zurück käme.

Dank meiner Kinder konnte ich schon mal ein Wochenende verreisen bzw. wandern gehen.


CHOR der Menschen mit DEMENZ

240712

Während der Reha im Alzheimer Therapiezentrum in Bad Aibling entdeckte meine Frau ihre Liebe zum Singen neu.
In der Vergangenheit hatte sie nie Interesse gezeigt, in einem Chor zu singen. Über den Kontakt mit einer anderen Angehörigen in der Reha kam ich mit einem Chormitglied des Projektchores „Chor der Menschen mit Demenz“, des ZDF, ins Gespräch. Die Schauspielerin Annette Frier war seinerzeit die Mentorin des Chors. Leider hat das ZDF die Dokumentation aus der Mediathek entfernt. Dieser Chor hat das Ende des Projektes überstanden und singt noch heute. 

Erste Begegnung

Vor einem halben Jahr haben wir die Einladung erhalten, doch einfach vorbeizukommen. So sind wir zur ersten Chorprobe 2024 angereist. Das Willkommen werden hat mich, hat uns, sehr beeindruckt. Vom ersten Augenblick an waren wir herzlich willkommen. Von diesem Moment an war für meine Frau klar, da möchte ich wieder hin. Es hat mich riesig gefreut. 

Das Chortreffen beginnt für alle die möchten mit einem kommunikativen Frühstück. Erstmal muss Zeit für einen Austausch vorhanden sein. Das ist Standard. Steph Schumacher, von der Kastanienhof-Stiftung, sorgt mit ihrem Team für eine einladende und freundliche Atmosphäre. Für Speis und Trank ist immer gesorgt. 

Wenn unser Chorleiter, Tobias Hebbelmann, kommt sein Keyboard eingesteckt hat, oder seine Gitarre erklingt, dann geht es los. 

Tobias Hebbelmann betritt den Raum

Ab jetzt ist Bewegung im Chor. Die Stimmen werden gelockert und alle sind fokussiert auf „Tobi“ und es swingt. Für ihn ist klar, es gibt niemanden, der nicht singen kann. Diesen einen Ton zu treffen, ist nicht wichtig. Wichtig ist, das du singst. Er holt wirklich alle im Raum ab. Alle singen und bewegen sich. Die pure Freude ist spürbar.

Meine Frau liebt den Chor. Würde der Chor sich jede Woche treffen, meine Frau wäre dabei. Nicht nur für sie ist der Chor der Menschen mit Demenz ein Geschenk. Wenn ich einige Tage vor der Chorprobe oder einem Auftritt erzähle, dass wir dann und dann nach Köln zum Chor fahren, glänzen ihre Augen.  

Blick in “unseren Raum”, in dem wir singen, essen und trinken

Alzheimer – Veränderung auf der Überholspur

240701

Seit uns 2017 die Diagnose erreicht hat, ist alles in Bewegung geraten. Ich erinnere noch sehr gut, wie ich im Auto sitzend, heulend einen meiner Söhne anrief und ihm das Ergebnis der Untersuchungen mitteilte. Bei jedem Gespräch mit den Kindern, bahnten sich die Tränen ihren Weg.

Von nun an blieb fast nichts unberührt. Lange fand ich diesen Zustand Angst einflößend, nötigte mir Respekt ab und überforderte mich wieder und wieder. Meine körperlichen und mentalen Reaktionen haben mir arg zugesetzt. Doch damit war ich nicht alleine. Meiner Frau erging es nicht anders. Ihre existenziellen Ängste waren Furcht einflößend. Ich hatte keine Antworten auf ihre Fragen: Werde ich noch als Frau, als Mutter oder Freundin wahrgenommen? Was ist, wenn Enkelkinder geboren werden, werde ich Oma sein dürfen? Die Liste ließe sich verlängern.

Sie musste ihren geliebten Job quittieren. Lohnfortzahlung zu Beginn, dann Krankengeld und recht bald zog die BARMER ihre Trumpfkarte und veranlasste die Überprüfung der Verrentung durch den Rententräger. Vier Monate Prüfung, dann 100 % Berufsunfähigkeitsrente bis zum Eintritt in das Rentenalter. Vier Jahre später stieg ich vorzeitig aus meinem Erwerbsleben aus, was bei mir lebenslange Abzüge für das vorzeitige Ausscheiden an der eigenen Rente und Zusatzversorgung zur Folge hatte. Das war die Quittung und wird bleiben bis zum Schluss. Eine bittere Realität. Doch wurde mir sehr schnell deutlich, dass die materiellen Verlusten, nicht die einzigen Verluste bleiben werden.

Veränderung – Anders denken

Vielleicht ist es abgefahren, den Alltag Alzheimer, anders zu denken. Ich erinnere mich an die Zeit, als ich zum ersten Mal Vater wurde. Mir war klar, von nun an ändert sich alles. Was vor der Geburt klar war und galt, kam auf den Prüfstand. Vieles war dann mal und kam nicht wieder. Neues kam, bzw. wurde gefordert. Allen Phasen der Entwicklung der Kinder war eigen, dass es nie einen Stillstand gab. Sich verändern, gehörte zum Alltag. Ob mir die Veränderungen passten, interessierte niemanden. Mit den Veränderungen ging ein permanenter Lernprozess einher. So, wie heute in unserem Alltag Alzheimer.

Heute gehört zu meinem, zu unserem Alltag Alzheimer. Den Veränderungen einen Rahmen zu geben, der organisatorisch, mental und emotional verlässlich und belastbar ist, verstehe ich als meinen Beitrag.

Freundlichkeit und Selbstfürsorge

Nein, das gelingt mir nicht immer. Ich hadere nicht selten und empfinde, erfahre oder erlebe mich als belastet und unfähig. Selbstkritik nagt an mir. Nur mühsam lerne ich, in diesen Dingen freundlich mit mir selbst zu sein. Andern gegenüber betone ich oft die Wichtigkeit der Freundlichkeit sich selbst gegenüber. Gleiches gilt für meine Selbstfürsorge. Spricht mich jemand darauf an oder erinnert mich daran, fühle ich mich ertappt. Langsam und schmerzhaft bin ich auf dem Weg. Mir fällt es jetzt zunehmend leichter, meiner Partnerin etwas zuzumuten, ohne direkt von einem schlechten Gewissen begleitet zu werden.

Doch ganz entscheidend ist, dass ich mich und uns gestützt von meiner Familie und von einigen Freund:innen erlebe. Wir sind Teil ihres Alltages. Dieses Erleben, ist so wichtig.

Bei all den Veränderungen, die dem dynamichen Krankheitsverlauf entspringen, verfestigen sich weder eine Mutlosigkeit noch eine Resignation. Die Liedzeile: „Du lass dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit…“ von Wolf Biermann kommt mir nicht selten in den Kopf. Über diesen Ohrwurm kann ich mich freuen.


Sprachfähigkeit

Ich habe meine Partnerin von meinem Wunsch, über meine Erfahrungen mit dieser Krankheit zu schreiben, gesprochen. Mir ist sehr bewusst, dass dieses Medium nicht ihr Ding ist. Ich habe sie gefragt, ob dies für sie in Ordnung sei. Wir hatten uns schon vor einem Jahr, als die Reha klar war, darauf verständigt, dass ich sie weder beim Namen nenne, noch ein Portraitbild von ihr posten werde. Sie hat das Vertrauen, dass ich sie nicht vorführe. Das werde ich nicht.

Mir ist bei der gelebten Auseinandersetzung im Alltag Alzheimer sehr schnell klar geworden, dass ich mich meinen engsten Freunden anvertrauen und über Dinge sicher sprechen kann, die ich hier nicht offen legen mag.

Klar ist, Alzheimer verändert nachhaltig meine Lebenswirklichkeit. Alzheimer kann einsam machen.


240622

Meine Rente

Im Sommer 2023 hatte meine Krankenkasse mich per Fragebogen nach meiner Pflegetätigkeit seit meinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gefragt. Für mich völlig überraschend erhielt ich zwei Monate später eine „Bescheinigung für Zwecke der Rentenversicherung; Rentenversicherungspflichtige Pflegezeiten nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI“. Die Krankenkasse führte für die Zeit von August 2021 bis zum Beginn meiner Regelaltersgrenze, Rentenbeiträge an die Rentenversicherung ab. Mir oblag es, den Rentenversicherer zu bitten, meine Rente unter Berücksichtigung der gezahlten Beiträge neu zu berechnen. Dies erfolgte.

Teilrente

Während der Reha meiner Frau in Bad Aibling, wurde unter den Angehörigen darüber gesprochen, dass es die Option für „pflegende Angehörige“ gäbe, auf Rente zu verzichten, um eine „Teilrente“ zu beziehen. Dies würde dazu führen, dass die Pflegekasse Rentenbeiträge an den Rententräger überweisen müsste, was später zu einer Steigerung der Rentenzahlung führe.

Das daran was war, bekam ich vom Rententräger schriftlich. Im Herbst 2023 lag ein Schreiben des Rententrägers im Briefkasten. Mir wurde dargelegt, dass ich die Möglichkeit hätte ein „Teilrente“ zu beziehen, wenn ich auf 0,1 % meiner Rente verzichten würde. Dadurch würden „weiterhin Beiträge zur Rentenversicherung“ durch die Pflegekassse gezahlt. So lange ich die „Pflegetätigkeit“ ausführe, werden für mich als „pflegender Angehörige“ jährlich Beiträge durch die Pflegekasse an die Rentenversicherung überwiesen. Dies führt dazu, dass „Zuschlagsentgeltpunkte ermittelt“ werden, die bei der Berechnung der Rente „berücksichtigt werden“.

Den Antrag konnte ich ohne Probleme online stellen. Unter „Bemerkungen“ schrieb ich: „Ich möchte von der Möglichkeit einer Teilrente (99,99%) zum nächst möglichen Zeitpunkt Gebrauch machen.“

Schreiben der Rentenversicherung an mit zu meiner "Pflegetätigkeit neben Altersvollrente"

Mit Wirkung zum 1. Januar 2024 wurde mein Antrag wirksam. Wie sich dies bemerkbar machen wird, weiß ich noch nicht. Da in der Regel zum 1. Juli eines Jahres immer die Veränderungen wirksam werden, muss der Bescheid ankommen. Vielleicht auch erst 2025, da ich ja erst zum 1. Januar 2024 die Teilrente beziehe.